Sehnsucht in den weiten des Sertão
Eine Hütte, jeden Tag eine Schüssel von Bohnen mit Reis, und viel Hoffnung auf den grossen Reichtum. Der stellt sich auch ab und zu mal ein, aber die folgenden Feste sind für einen Abkömmling des Landes von Zwingli kaum nachzuvollziehen, so dass auch ein rechter Batzen gefundenes Gold bald wieder weggesoffen ist.
Von Jacobina geht’s auf einer staubigen Bergstrasse nordwärts, rund 300 km, bis wir am Abend nach einer durstigen Fahrt durch staubige Caatinga und Bergstrassen endlich Campo Formosa erreichen. Kleines tolles Städtchen, das die globale Finanzkrise 2008 voll zu spüren bekam, weil sein bescheidner Wohlstand auf dem Export von Edelsteinen wie Esmeraldas bestand. In der Zwischenzeit sind die Händler wieder von der ganzen Welt im Aufmarsch, angeführt von Geschäftsleuten aus Indien, die den Edelsteinhandel fest in Händen haben.
In der Nähe befinden sich einige kleine Orte, wo der Handel floriert. Die Esmeraldas türmen sich auf kleinen Tischen, unrasierte Männer schwitzen an den Bars und Bechern, wie wenn der grosse Handel schon vorbei wäre. Dabei ist es erst Mittag, die Sonne brennt unbarmherzig auf das kleine Berggäschen von Canaiba, und die Händler sitzen im Schatten und warten auf Kunden.
Bei einem kühlen brasilianischen Bier. Vielleicht auch mehreren, bis zu Abend. Brasilianisches Bier muss es ein, schon wegen dem Nationalstolz. Und Kühl – stupidamente Gelade (idiotisch tief heruntergekühlt, wie die Reklame heisst)
Nach vier Tagen geht’s weiter, Richtung Juazeiro. Das Bild des Überflusses von der tropischen Landschaft der Küste, von der Abenteuerlust der Gold- und Edelsteingetrieben weicht der Melancholie und Trockenheit des so genannten „Sertão“. Dieser umfasst einen großen Teil des Bundesstaates Bahia. Die Bevölkerung des Sertão lebt in Armut. Als „os flagelados“ (auf Deutsch die Geplagten) werden von den Brasilianern diejenigen bezeichnet, die dem Sertão ihren Lebensunterhalt abzutrotzen versuchen. In den günstigsten Zeiten halten die unermüdlichen Flagelados hagere Rinder und bauen solche Getreidearten an, die auch an den Ufern der unregelmäßig wasserführenden Flüsse gedeihen können. Zudem gibt es auch oft Dürreperioden, und der Sertão ist überwiegend von Trocken- und Dornwald bewachsen, der Caatinga. In der Regenzeit bringen starke Regenfälle Erleichterung. Die durstige Tier- und Pflanzenwelt erwacht mit lebendigem Grün zu frischem Leben. Pflanzen und Blumen erfüllen die Luft mit wohlriechenden Düften.
Juazeiro liegt am Rio San Francisco. Leider sind die alten Dampfschiffe auf dem Lago Sobradinho nicht mehr im Betrieb, obwohl diese romantische Schifffahrt noch immer angepriesen wird. Beim letzten Dampfer soll es den Kessel explodiert haben. Na wohl besser, wir waren nicht darauf. Die Stromversorgung vom Nordosten basiert zum grössten Teil aus den vier grossen Flusskraftwerken vom Rio Franzisco, dessen Wassermassen durch riesige Dämme reguliert werden. Der weitere jährliche Zuwachs an Stromkonsum von rund drei Prozent soll laut der staatlichen Stromregulierungsbehörde ANEEL mit weiteren Kohle- und zwei Kernkraftwerken im NE gedeckt werden. Zum Glück überholt die Entwicklung die staatliche Planung: Jährliche werden nun im Schnitt 1 bis 2 GW Windkraftwerke ans Netz gebracht, die heute mit Entstehungskosten von 130 Reais pro MWh bereits ähnlich günstig produzieren wie herkömliche Kraftwerke. Der Abstecher nach Paulo Alfonso führt wieder durch den Sertão, diesmal allerdings so richtig. Staubige Strassen machen die rund 12 stündige Fahrt so richtig authentisch. Wer gerne gewaltige Staudämme und Wassermassen sieht, ist hier richtig. Allerdings durften wir das sonst dem Publikum zugängige Wasserkraftwerk nicht besuchen, da die Anlage gerade von den beim Aufstauen des Sees vertriebenen Einwohnern besetzt war. Seit rund 2 Jahrzehnten kämpfen die Bauern für Landersatz, der ihnen damals bei Bau des Kraftwerkes versprochen wurde.
In Paulo Alfonso sind wir auch Nahe vom dem Ort wo der Aufständische Lampião von rund 4000 Soldaten gejagt und schlussendlich ermordet wurde.
Die Saga um den Verstorbenen ist unklar, und es ist nicht eruierbar, ob es sich um einen einfachen Kriminellen oder einen lokalen Robin Hood handelte, der von den Behörden gefürchtet und deshalb verleumdet wurde. Die offizielle Darstellung beschreibt ihn als einen blutdürstigen Gauner, der die Gegend unsicher machte. Über den Sertão berichtet auch das vielleicht berühmteste brasilianische Buch: „Os Sertães“ von Euclides da Cunha (1866-1909). Diese Erzählung scheint auf tatsächlichen Ereignissen zu bestehen und beschreibt eindrücklich einen fehlgeschlagenen Bauernaufstand im Sertão während der Jahrhundertwende. „Os Sertães“ gilt als eines der grossen Nationalepen, welche konstitutiv oder zumindest exemplarisch für die Kulturgeschichte von Bahia, vielleicht von ganz Brasilien gilt.
Die Autofahrt führt uns wieder zurück nach Salvador, wo wir verstaubt in Praia do Forte ankommen. Der krönende Abschluss dieser eindrücklichen Reise war der Aufenthalt im Hotel Praia do Forte, das direkt am Strand liegt und uns nach dem Sertão einfach paradiesisch erschien. Die ganze Reise war ein Erfolg.
Und die Wahl des Hotels Porto da Lua ein Volltreffer, da es sich um eine wunderschöne Pousada in einem wunderbaren Ort handelt, direkt am Strand der den Namen „Polynesien von Brasilien“ trägt. Zu recht, wie wir herausgefunden haben. Interessant ist auch der Reichtum an Dekorationsmaterial aus natürlichen Materalien wie Bambus, das in Praia do Forte verwendet wird. Ein entsprechendes Kompetenzzentrum für Bambus ist geplant. Die Architektur verschiedener Pousadas und Hotels wie auch das Ecoresort wurde von Wilson Reis Netto, einem berümten Architekten, einem Spezialisten für Tropenarchitektur aus Rio, geprägt. Und zum Abschluss gehört sich in Praia do Forte natürlich auch ein Besuch im Schildkröten Schutzprojekt Tamar.
Wirklich faszinierende Reiseberichte. Ich finde die Routenauswahl bemerkenswert, da diese nicht sehr touristisch ist sondern eher ein ‚Insider-Tipp‘. Die Natur dort ist atemberaubend: Es gibt viele Wasserfälle, Flüsse und in der Gegend um Campo Formoso auch diverse Höhlen. Dort liegt auch die längste Höhle Brasiliens, die „Toca da Boa Vista“ mit 102 Kilometern Länge!
Eigentlich gehören Jacobina und Campo Formoso zur Region ‚Chapada Diamantina‘, aber sie sind nicht touristische entwickelt wie die andere Städte.
Ja, Praia do Forte ist tatsächlich wunderschön, perfekt zum entspannen. Ein anderer toller Ort in Bahia – nicht weit von Praia do Forte – ist Morro de Sao Paulo (http://www.morrodesaopauloinfo.com/de/). Waren sie schon da? Es ist eine wunderschön Insel, circa 2 Studen mit dem Boot entfernt von Salvador.