China individuell erleben – Datong in der Provinz Shanxi
Freitag
Endlich! 4ººh morgens! Zeit zum aufstehen. Ich habe so schlecht geschlafen wie schon seit langem nicht mehr und mich auf der harten chinesischen Matratze von links nach rechts gedreht. Vermutlich hat mich die Angst zu verschlafen wach gehalten. Wer weiß, ob die junge Frau an der Rezeption gestern Abend verstanden hat, dass wir um diese Zeit geweckt werden möchten. Denn mit besonders guten Englischkenntnissen kann hier im Hotel keiner glänzen, auch wenn alle sehr freundlich sind. Doch meine Sorgen waren unbegründet, kurz nach vier Uhr klingelt das Telefon mit einem schrillen Trrrrrr- Trrrrrr-Trrrrr und nun ist auch Edith wach.
Bereits eine Stunde später sitzen wir im Taxi auf dem Weg zum Flughafen Peking.
Unser Abflug geht ab Terminal 3 mit Air China und ich bin überrascht über den großen und modernen Flughafen. Alles ist gut organisiert und übersichtlich, es gibt Costa Cafe, Häagen Dazs Eiscreme und für den Einkauf sind alle internationalen Firmen vertreten. Toll!
Bei der Landung an unserem Ziel Datong sieht das schon anders aus. Edith formuliert es völlig richtig. „Was für ein schöner Flughafen! So übersichtlich!“ Das einzige Gepäckband finden wir auch sofort und nach einer geraumer Zeit kommen die Koffer. Jetzt bin ich jedoch wieder beeindruckt. Die Koffer stehen ordentlich in Reihe und Glied auf dem Band. Keine lässig geworfenen Gepäckstücke, sondern ordentlich abgestellt, immer im gleichen Abstand. So was habe ich wirklich noch nie gesehen.
Nun brauchen wir nur noch ein Taxi und ich hoffe der Fahrer versteht ein wenig Englisch. Doch wir bekommen Hilfe von einem der anwesenden Polizisten. Unser Freund und Helfer! Er schaut sich meine Buchungsbestätigung an, führt uns zu einem Taxifahrer und zeigt ihm mit einem chinesischen Wortschwall die Adresse auf meiner Buchung. Na gut, wird schon richtig sein.
Der Fahrer dreht sich nach uns um, lächelt freundlich und spricht auf chinesisch auf uns ein. Was er wohl gesagt hat? Dem Tonfall und seinem Gesichtsausdruck nach war es eine Frage, also lächle ich zurück und nicke freundlich. Vermutlich wollte er wissen ob er losfahren soll!
Scheint zu stimmen, denn er lächelt noch mehr und fährt umgehend los. Interessiert schaue ich mich um. Über Datong gab es sehr wenig zu lesen, was uns hierher gezogen hat ist das Hängende Kloster am Berge Hengshan und die Höhlentempel Yungang. Diese beiden Ziele möchten wir morgen besichtigen. Ansonsten war weder mein Reiseführer noch das Internet sehr ergiebig. Ich weiß nur, das Datong fast 1 Millionen Einwohner hat und als Grenzort zur Mongolei ein wichtiger Verkehrsknotenpunkt zwischen Nordchina und Innenasien ist. Durch seine Lage war Datong zur Zeit der Ming Dynastie eine der stärksten bewehrten Grenzstädte an der Großen Mauer. Heute ist Kohleabbau der wichtigste Industriezweig in dieser Region. Mein Reiseführer empfiehlt drei verschiedene Klöster und die Neun -Drachen -Wand zu besichtigen. Wenn das nicht reicht, können wir auch noch in die Datong-Lokomotivenfabrik. Nun , wir werden sehen.
Unser Fahrer verlässt die Hauptstraße und biegt nach links ab. Sind wir schon da? Das war aber eine kurze Strecke! Ohh, Datong hatte ich mir aber ein wenig anders vorgestellt! Wir sind in einer unasphaltierten Straße, Hühner scharren im Staub auf der Suche nach ein paar Körnern und wir holpern auf der Piste um eine Kurve in die nächste Straße. Hier ist es nicht besser, eine Frau hat heute großen Waschtag, die Kleidung wird in einer Plastikschüssel vor dem Haus gewaschen. Die Hauseingänge sind offen, die dahinter liegenden Wohnungen wirken klein und dunkel. Es sind Reihenhäuser und vor einem dieser Eingänge halten wir.
Um Gottes willen! Was habe ich da gebucht? Unser Fahrer teilt uns wieder lächelnd etwas auf chinesisch mit, aber diesmal nicke ich lieber nicht.
Doch einen kurzen Augenblick später klärt sich unser Stopp auf. Eine junge Frau kommt aus einem der Eingänge, steigt mit in das Auto, begrüßt uns mit einem fröhlichen „ni hao“ und den Fahrer mit einem Wortschwall. Er strahlt sie an und seine Augen glänzen verliebt. Aha – das war also die Frage! Ob er seine Frau oder Freundin mitnehmen kann!
Kurz darauf sind wir wieder auf der gut ausgebauten Hauptstraße und ca. 20 Minuten später kommen die ersten Häuser in Sicht. Ja, das sieht schon eher nach der zweitgrößten Stadt der Provinz Shanxi aus. Hochhäuser und Baukräne ragen hoch in den Himmel. Datong ist ganz offensichtlich eine wachsende Stadt. An einer Ecke steigt die junge Frau wieder aus, bedankt sich bei uns mit einem „Xiexie“ und verschwindet zwischen den Hochhäusern.
Wir fahren weiter in das Zentrum von Datong. Unterwegs macht uns der Fahrer auf die alte Stadtmauer aufmerksam und erklärt, in eigentlich recht gutem Englisch, das man auf dieser Stadtmauer einen Spaziergang machen kann. Auch sein Ausflugsangebot zum Hängenden Kloster kann er sehr gut auf Englisch anbieten. Merkwürdig, wieso hat er dann nicht wegen der Mitfahrerin auf Englisch gefragt? Vielleicht kennt er das Wort „wife“ oder „girl-friend“ nicht?
Auch in der Altstadt wird gebaut. Die Straßen sind aufgerissen, neue Rohre und Pflastersteine werden verlegt. Doch anders als an der Peripherie gibt es hier keine modernen Hochhäuser. Hier in Datong ist China dabei neue Häuser im alten Stil zu bauen. Aus Holz und Naturstein wird hier eine „neue“ Altstadt erschaffen. Das sieht gut aus, besser als die Hochhäuser.
„Your hotel“ verkündet der Fahrer und parkt am Straßenrand. Ja, so hatte ich mir das vorgestellt! Zentral, eine große Glastür und eine helle und freundliche Rezeption. Das Garden-Hotel!
Im Zimmer packen wir kurz aus und beschließen zuerst irgendwo eine Kleinigkeit essen zu gehen. Es ist inzwischen 10ººh und wir möchten gerne frühstücken. Danach werden wir den Ort erkunden, einen Stadtplan haben wir an der Rezeption erhalten. Auf jeden Fall möchte ich die Neun-Drachen-Wand besichtigen.
Und Glück mit dem Wetter haben wir auch, die Sonne lacht vom blauen Himmel! Doch draußen vor der Tür spüren wir den bitterkalter Wind pfeifen. „Es ist ja auch noch früh“ gibt Edith zu bedenken. „Es wird bestimmt in einer Stunde wärmer werden.“
Hoffentlich!
Langsam schlendern wir durch die Stadt, viele Geschäfte und Lokale haben noch geschlossen. In der Fußgängerzone machen die ersten Straßenstände mit Essen auf. Was mag das sein? Es sieht aus wie Tofukäse. Auf jeden Fall ist es kein Fleisch, ich werde es mal probieren. Wir bekommen eine Pappschale, gerillter Tofu und darauf eine pikante Chillisosse. Hmmmm! Absolut lecker, da sind sich Edith und ich einig. Was hat denn der Mann dort drüben anzubieten? Es sieht so ähnlich aus wie Pizza. “Lass uns doch probieren, es riecht auch gut!“ schlage ich Edith vor. Auch dieses Gericht schmeckt, doch der gegrillte Tofu ist der Renner. Da kann der Pizza-verschnitt nicht mithalten.
Es ist ein schöner Ort, auch wenn manche Teile der Neuen-Altstadt noch im Bau sind. Doch in einem Jahr ist Datong vermutlich ein Vorzeige -Urlaubsort. Junge Mädchen verteilen Flugzettel, sie sind von Immobilienagenturen und bieten Appartements mit Seeblick an. Was die hier wohl kosten? Preise sind leider keine angegeben. So hübsch wie es hier ist, der Wind ist eisig. Er bläst durch meine Jacke und meinen indischen Schal und ich habe das Gefühl es wird nicht wärmer sondern eher kälter. „Das wird morgen sicher noch kälter sein, denn das Hängende Kloster ist in den Bergen“ teile ich Edith meine Befürchtung mit. Und wir möchten früh dort sein, damit wir anschließend noch die Höhlentempel besichtigen können. „Ich brauche unbedingt eine warme Jacke!“ So verbringen wir den Vormittag damit, für mich ein warmes Kleidungsstück zu suchen.
Es sind schöne Geschäfte hier in der Einkaufsstraße von Datong. Schicke Bekleidung, auch in guter Qualität. Wir betreten einen Laden nach dem anderen und schauen uns um. „Das sind alles nur kleine Größen“ meckere ich im dritten Laden „Hier finde ich nie was!“ Edith ist optimistisch: „Lass uns doch mal eine Verkäuferin fragen.“
Im fünften Geschäft frage ich nach. Die zierlich Verkäuferin reicht mir gerade mal bis unter die Arme. „Haben sie eine Jacke in meiner Größe?“ Sie legt den Kopf in den Nacken um mich anzusehen und schüttelt bedauernd den Kopf. „Solly!“
In einer sehr exklusiven Boutique geben sie nicht so leicht auf, doch es ist nichts zu machen. Die chinesischen Kleidergrößen passen mir nicht! Und nun?
Wir sind schon auf dem Weg zurück ins Hotel als wir an einem Sportgeschäft vorbei kommen. Eine Adidas-Jacke für Herren passt und warm ist sie auch.
„Ich möchte gerne ins Hotel“ erklärt Edith. „Wir sind mitten in der Nacht aufgestanden, ich habe schlecht geschlafen und die letzten Tage waren schön aber auch anstrengend. Ich würde gerne ein paar Stunden schlafen!“ Gut, aber ich möchte mir noch ein Feuerzeug kaufen. Meine wurde alle am Flughafen beschlagnahmt, die im Handgepäck und auch die aus dem Koffer. Gott sei Dank hatte ich die Feuerzeuge in einem Seitenfach und brauchte nicht alles auspacken. „Und die Neun-Drachen-Wand haben wir auch noch nicht gesehen“ gebe ich Edith zu bedenken. Doch sie ist müde, da können auch neun Drachen nichts ändern. „Ich komme noch mit nach einem Feuerzeug suchen, dann gehe ich ins Hotel“ erklärt sie mit fester Stimme. „Du kannst ja machen was du willst, wenn du nach der Wand suchen möchtest –bitte schön!“
Auf der Feuerzeug-suche kommen wir in den noch erhaltenen Teil der Altstadt von Datong. Hier sind die Gassen schmal, kleine Türen führen in den Hauseingang und die Besitzer der Obst – und Lebensmittelgeschäfte sitzen auf einem wackligen Hocker vor ihrer Ware. Kinder spielen auf der Gasse, das Abwasser rinnt durch den Rinnstein und vergammeltes Gemüse liegt als Abfall in den Ecken. Doch es ist hier belebt, es ist ein altes gewachsenes Stadtviertel . Ich frage mich, wo nun all die Menschen leben, die wegen der Altstadtrenovierung ihre Wohnungen verlassen mussten.
Hinter einer schmalen Tür mit einem klappernden Perlenvorhang befindet sich ein kleiner Krämerladen in dem ich auch ein Feuerzeug finde. Beim Gemüsehändler kaufen wir auf dem Weg ins Hotel ein Kilo Trauben und dann kann Edith sich endlich ausruhen. „Ach, tut das gut!“ höre ich, als sie in den Kissen versinkt.
Und ich? Eigentlich bin ich nicht so müde. Ich gehe mal schauen, was es hier im Hotel so alles gibt. Ein Fitnessbereich wird im Keller angeboten, ein Frisör und Massage. Ja, das wäre doch was. Ich lasse mich massieren.
Im Vorraum bekomme ich eine Liste in der auf englisch verschiedene Massagen zu unterschiedlichen Preisen angeboten werden. Was ist da der Unterschied? Das kann mir keiner erklären, denn leider versteht hier niemand ein Wort Englisch. Ich tippe auf gut Glück auf eine der Massagen, der junge Mann nickt mit ernstem Gesicht und deutet mir an ihm zu folgen.
Er führt mich den Flug entlang, in einen kleinen Raum mit einem Bett. Daneben steht ein Nachttisch und an der Wand am Fußende ein Fernseher. Huch! Das ist doch kein Massageraum! Ob da irgendein Missverständnis entstanden ist? Da kommt er wieder, lächelt, reicht mir ein rosarotes Kleidungsstück und verschwindet erneut. Ich schaue mir das rosarote Stoffbündel genauer an. Ach- herrje! Ein Kinderspielanzug? Es ist ein Zweiteiler mit Hosen in Bermuda-shorts-länge und ein passendes Oberteil mit Puffärmeln. Die Größe entspricht ungefähr den heute früh anprobierten Jacken. Nein, da zwänge ich mich auf gar keinen Fall rein!
Einige Minuten später kommt eine junge Frau und gibt mir mit Gesten zu verstehen, ich solle doch diesen Baby-rosa-farbigen Anzug anziehen. Mit meinen Gesten gebe ich ihr zu verstehen, dass das Teil zu klein ist. Doch sie schüttelt nur den Kopf, nimmt die Spielkasten-Hose und zieht sie in die Breite. Was immer sie dazu sagt heißt soviel wie „Passt!“
Ich zeige guten Willen, versuche es und tatsächlich, die Nähte halten. Die junge Frau macht den Fernseher an, deutet mir mich auf den Bauch zu legen und beginnt zu massieren. Dazu klingen chinesische Stimmen aus dem TV, so wie bei uns die sphärischen Klänge der entsprechenden Entspannungsmusik. Was da im Fernsehen wohl läuft? Börsennachrichten? Der Verkehrsfunk?
Es ist ungewohnt, doch die junge Frau massiert sehr gut. Nach einer Stunde fühle ich mich wie neu. Trotz Fernseher und Strampelhosen eine entspannende und lockernde Massage. Sehr zu empfehlen!
Inzwischen hat sich Edith ebenfalls erholt, doch das Hotel verlassen wir heute nicht mehr. Wir machen nur einen Abstecher in die Hotelbar, wo wir uns zur Feier des Tages eine Flasche Wein bestellen. Dazu nehmen wir ein wenig Knabberzeug wie gesalzenen Mandeln und genießen die Ambiente des Hotels. Ein gelungener und ruhiger Abend nach einem langen Tag voller neuer Eindrücke.
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